Es gibt wenig Dinge, die mich mehr nerven, als das Möchtegern-Totschlagargument „das ist aber Geschmackssache“. Das hat während einer sensorischen Diskussion nichts suchen.
Wir müssen nämlich unterscheiden zwischen dem „eigenen Geschmack“ und einem „guten Produkt“ (Gericht, Rum, etc.).
Bei meiner Arbeit als Juror von Spirituosenwettbewerben kommt diese Differenzierung besonders zur Geltung:
Mit 15 habe ich mich einmal übertrieben mit Baileys abgeschossen. Musste brutal kotzen. Keine schöne Erinnerung. Noch Jahre später hatte ich mit Sahnelikören zu kämpfen.
Als ich Teil der Jury von einem Rumwettbewerb war, wurde zum Schluss die Kategorie der Emulsionsliköre (ein Sahnelikör ist ein Emulsionslikör) gereicht.
Mag ich nicht.
Na und? Soll das jetzt heißen, dass ich alle Produkte schlecht bewerte, nur weil ich die Kategorie nicht mag? Wäre das den Produzenten gerecht, die eventuell einen großartigen Likör hergestellt haben?
Natürlich nicht. Siehst du anhand meines Beispiels, wie das Argument „das ist aber Geschmackssache“ überhaupt nicht greifen würde? Wie unprofessionell das wäre?
Wenn jetzt also die persönliche Präferenz keine Rolle spielt, um ein hochwertiges Produkt zu beurteilen, was dann?
Es geht primär um zwei Dinge (bezieht sich beides auf den Gesamteindruck von Geschmack und Geruch):
1. Komplexität
2. Balance
Komplexität:
Definition Duden: Vielschichtigkeit; das Ineinander vieler Merkmale.
Im geschmacklichen Sinne reden wir hier über das Aromenspiel. Wonach du suchen willst, ist eine sensorische Achterbahn. Der Geschmack entwickelt sich. Der erste Eindruck verändert sich immer wieder, und am Ende bleibt ein Nachklang, der dich zum Staunen bringt.
Achtung! Komplexität wird gerne mit Kraft verwechselt. Das sind aber zwei Paar Schuhe, und Kraft bzw. Intensität kann, muss aber nichts mit Qualität zu tun haben. Einige hoch filigrane Stoffe sind teilweise die komplexesten überhaupt. Zum Beispiel das Aroma von Moos oder Kamille.
Balance:
Es geht um eine ausgewogene Symphonie der Geschmäcker und Gerüche. Die Dinge dürfen weder penetrant noch dumpf erscheinen.
Hier würde ich auch gerne wieder auf die Kraft eingehen: Man könnte denken, dass Spirituosen mit einer sehr extremen Komponente keine Balance aufweisen (wie zum Beispiel torfiger Whisky). Das ist aber nicht richtig. Die Dinge dürfen durchaus in eine extreme Richtung gehen – verlangen aber nach einem Gegenspieler, wenn sie ein gutes Produkt formen wollen.
Ein passendes Negativbeispiel ist hier der Octomore von Bruichladdich: Ein wahrhaftig schlechtes Produkt. Der Torfgehalt ist mit seinen ~120ppm dermaßen überladen, während der Whisky sehr jung abgefüllt wurde und keinen Körper aufweist, sodass du dir auch gleich die Zähne mit Torf putzen könntest. Kein Gegenspieler, keine Komplexität. Einfach nur langweilig, geradeaus ins Gesicht.
Fazit:
Natürlich sollst du alles trinken und essen, was du willst und was dir schmeckt. Auch wie du es willst. Ist mir egal und hat auch niemanden anderes zu interessieren (es sei denn, du bist zu Gast, aber das ist ein anderes Thema).
Es ist auch völlig okay, wenn du den Octomore liebst und wenn er sogar dein Lieblingswhisky ist.
Ich möchte lediglich einige Menschen der Genusskultur sensibilisieren, etwas vorsichtiger mit ihren Meinungen um sich zu schmeißen, was denn angeblich gut sei. Und vor allem das schwache und meist falsch verwendete Argument der Geschmackssache entkräften.
Octomore