London. Was für eine gewaltige Stadt! Für ca. 1,5 Jahre habe ich 2011 und 2012 im Ritz Hotel an der Bar arbeiten dürfen. Eine intensive Zeit, die für mich von enormer Bedeutung war. Für meine Entwicklung, für meine weiteren Schritte – und für meine Wertschätzung für das Leben außerhalb der Stadt. Denn auch wenn ich eine großartige Zeit hatte, war sie doch auch sehr intensiv.
Gregor und ich sind nach London gereist, da wir mit unserer Wagemut Kavalierbar vom „The Spirits Business“ nominiert waren als „Bar of the Year“ und Gregor als „Bartender of the Year“.
Auf der Shortlist zu erscheinen – also zu den Top 5 der ganzen Welt zu zählen (laut The Spirits Business) – war für uns eine besondere Ehre! Leider haben wir aber keinen Preis abgeräumt...
Zur Tour:
Wir sind vormittags angereist. Zum Glück bietet London ein deutlich besseres Ausgehverhalten, wenn es um Daydrinking geht! Das Ausgehverhalten ist generell ein absoluter Traum für mich als Spirituosenproduzent und Barbesitzer. Somit konnten wir unsere Tour bereits um 11:30 Uhr starten.
Bar 1: The Rivoli Bar at The Ritz Hotel
Die Adresse war für mich natürlich absolute Pflicht – habe ich doch 1,5 Jahre in dieser schönen Bar gearbeitet.
Um 11:30 Uhr standen wir also vor der Tür und waren erstaunt, dass die Bar direkt nach der Eröffnung bereits zu 50 % gefüllt war.
Getrunken haben wir nur ein Glas Champagner, daher können wir die Cocktails nicht beurteilen.
Die Karte ist groß und etwas überladen. Der Service war gut, wenn auch unpersönlich.
Durch die Tische, an denen man sitzt, bietet die Bar keine typische Bar-Atmosphäre – sie wirkt eher wie ein luxuriöses Bistro.
Die Bar lohnt sich eher als Ausrede, um dieses legendäre Hotel zu besuchen.
Drinks: Ab 22 Pfund.
https://www.theritzlondon.com/dine-with-us/rivoli-bar/
Bar 2: American Bar at the Savoy
Die legendärste Bar in London und eine der geschichtsträchtigsten Orte überhaupt, wenn es um Barkultur geht.
Guter Service, gute Drinks, ausgezeichnetes Barfood.
Auch hier war die Bar um kurz vor 13 Uhr bereits zur Hälfte gefüllt und bot bereits eine schöne Bar-Atmosphäre.
Manko: Auf der Barkarte waren lediglich unübersichtliche Eigenkreationen geboten, die selbst mich überfordert haben – ich konnte mir einfach nichts darunter vorstellen.
Ich wollte einen Drink im Stil eines Manhattan – der empfohlene Drink war großartig, hat mit 45 Pfund aber auch ganz schön reingehauen...
Drinks: Ab 24 Pfund.
https://www.thesavoylondon.com/de/restaurant/american-bar/
Bar 3: Dukes Bar at Dukes Hotel
Erneut eine absolute Ikone in einem sehr schönen, kleinen Hotel.
Nachdem wir freundlich von einem Mitarbeiter begrüßt wurden und dieser gerade dabei war, uns zu platzieren, wurden wir wieder vom Barmanager entfernt und zum Warten in die Lobby geschickt, mit der Erklärung, er würde das übernehmen und der andere Mitarbeiter arbeite für ihn...
Sehr merkwürdig.
Fünf Minuten später wurden wir höflich in der Bar platziert, die bekannt ist für ihren Martini-Trolley und den Vesper Martini, der hier für Ian Fleming kreiert wurde.
Der charmante Barkeeper kam mit dem Martini-Trolley zum Tisch, bei dem es sich um einen kleinen Etagerenwagen handelt. Alle Tische um uns herum tranken Martinis, und auch wir bestellten den Klassiker.
Mit routinierter, lebhafter Erklärung wurden die Drinks in Sekundenschnelle für uns zubereitet (mit Plasikhandschuhen!?), indem einfach die Gläser mit etwas Wermut ausgewaschen wurden und anschließend mit purem, eiskalten Gin aufgefüllt wurden. Bis zum Rand. Also ca. 130 ml purer Gin.
Ja, genau: Der Drink wurde nicht gerührt oder sonstiges. Einfach nur purer Gin.
Was für ein Blödsinn. Nicht oft lasse ich einen „Drink“ stehen, aber gerade wenn der Gin auch noch an Temperatur gewinnt, wird es immer schlimmer.
Es herrscht generell eine gewisse Arroganz und Bocklosigkeit. Selbst der Vesper Martini wird nicht geschüttelt, sondern die Zutaten einfach nur ins Glas gekippt.
Die Kollegen sind viel zu gemütlich und in ihrem Trott gefangen. Frei nach dem Motto: „Passt schon.“
Würden sie so etwas in irgendeiner anderen Bar servieren, ohne diesen legendären Background, würden ihnen die Gäste die Drinks ins Gesicht werfen.
Dennoch bin ich auch schon damals bei jedem meiner London-Besuche in diese Bar gegangen, um den Ort einmal zu zeigen. Das werde ich nochmal überdenken...
„Martini“ (also Gin pur): 27 Pfund.
https://www.dukeshotel.com/dukes-bar.html?devicetype=pc
Bar 4: Connaught Bar im Connaught Hotel
Nach dieser Erfahrung wurde es Zeit für einen richtigen Martini. Falls du mein YouTube-Video geschaut hast, weißt du, dass ich den Martini Cocktail als den schlechtesten unter den geschätzten Cocktails betrachte. Meine Aussage würde ich an dieser Stelle gerne korrigieren mit der Ergänzung: „Außer der Martini von der Connaught Bar.“
Die Bar war direkt komplett voll, als wir 30 Minuten nach Eröffnung eintraten. Wir wurden an dem letzten verfügbaren Tisch platziert, in einer Ecke neben dem Eingang.
Dort wurden wir auch leider übersehen, und als wir endlich unsere Bestellung für den legendären Martini-Trolley aufgeben konnten, wurde uns mitgeteilt, dass dies mindestens 20 Minuten dauern würde.
Aus zeitlichen Gründen war das leider keine Option, also verließen wir die Bar – nur um dann beim Hinausgehen vom Headbartender Agostino Perrone abgefangen zu werden.
Mit seinem beeindruckenden Taktgefühl lotste er uns zurück in die Bar und beschwichtigte uns damit, dass er den Martini zügig für uns an der Barstation zubereiten konnte.
Kurzerhand stand dennoch der wunderschöne Trolley vor uns, und er begann zu zaubern: Gab uns die Bitters als Geruchsprobe und bereitete die Drinks mit einer Eleganz und Hingabe zu, wie du es schöner nicht bekommen kannst.
Die Martinis sind die mit Abstand besten Martinis ever. Sie sind so gut, dass sie nicht nur für einen Martini gut sind, sondern generell als großartige Drinks betrachtet werden können.
Martini hin oder her: Ich bin nicht in der Lage, einen Text zu verfassen, der der großartigen Arbeit von Ago gerecht wird. Er ist der Gastgeber des Jahrhunderts, und es war wunderschön mitanzusehen, wie er sein Team anführt.
Seine Person verkörpert in der absolut besten Form, was man aus dem Beruf des Bartenders Schönes machen kann.
Danke für diese großartige Inspiration!
Wenn du in London bist und nur in eine einzige Bar gehen kannst, dann diese hier.
https://www.the-connaught.co.uk/restaurants-bars/connaught-bar/
Bar 5: Tayer & Elementary
Es war uns egal, dass wir zu spät zur Gala erscheinen würden: Wir mussten noch in die Bar von Alex Kratena.
Alex war während meiner Zeit in London meine Quelle der Demut. Zum Höhepunkt seiner Artesian Bar war ich mindestens einmal die Woche zu Gast. Am Tresen, um einfach nur zuzuschauen.
Ich war ein kleiner arroganter Scheißer und hatte das Privileg, von seinem Mindset zu lernen, indem ich beobachtete, wie er tat, was er tat. Was für eine tolle Zeit…
Ich hatte von seiner „neuen“ Bar gehört und war sehr gespannt, da sie ja einen enormen Kontrast zum Artesian bietet.
Aber wie zu erwarten, wurden wir nicht enttäuscht:
Die Bar ist aufgeteilt in zwei Bereiche: Der erste Teil ist das legere, Hip-Hop-durchtränkte Konzept mit schnellen, zugänglichen Drinks.
Alles on Point.
Der hintere Teil ist das gediegene Elementary, wo die Gäste in einer U-Form am Tresen sitzen und in der Mitte, im Kitchen-Style, die Drinks zubereitet werden.
Ebenfalls alles on Point. Geschmackliche Perfektion und ausgewogen bis zum Gehtnichtmehr.
Auch wenn es sensorisch, molekular & gastronomisch Sinn macht, Drinks vorzubereiten (Pre-Batching) und dies sicherlich auch durch Geschwindigkeit und Beständigkeit gerechtfertigt ist, fehlt mir dennoch etwas: Die Bartender wirklich arbeiten zu sehen. Es geht Magie verloren. Der Gast könnte sich theoretisch dasselbe auch zu Hause mixen.
Alex war selber vor Ort. Er agierte mit seiner Herzlichkeit als Gastgeber. Zu sehen, wie er selber die Toilette putzte, spricht sehr für seinen Charakter als Leader. Was für eine großartige Persönlichkeit.
Ich habe meine Zeit in der Bar geliebt, und das ist definitiv einer dieser Orte, wo du brutal versacken kannst und wo der Abend eskaliert.
Geile Bar. Nach den ersten vier sehr teuren Bars war es eine schöne Abwechslung, weniger Geld für Drinks zu zahlen:
Tayer: 14 Pfund
Elementary: 18 Pfund
https://tayer-elementary.com
Bar 6: ECC (Experimental Cocktail Club)
Nach dem Event ohne Preis brauchten wir dringend einen Drink.
Mein alter Freund und Cocktail-Mentor Harry Glockler hatte seinen zweiten Abend beim ECC London. Also gingen wir ihn in meiner ehemaligen Feierabendbar besuchen.
In Chinatown gelegen, hat diese Bar bis 3 Uhr geöffnet – was für London extrem spät ist und daher dazu führte, dass wir mehrfach die Woche nach Feierabend dort endeten.
Zwischen zwei Restaurants führt eine geschlossene Tür nach oben. Der Türsteher ist nach all den Jahren immer noch derselbe und mit einem kurzen Nicken wurde die Tür geöffnet, und wir stiegen in den ersten Stock.
Die gute Musik dröhnte extrem laut auf den zwei Etagen der dunklen Bar. Die Drinks sind kreativ und etwas albern – wurden aber schnell zubereitet.
Gute Bar, anständige Drinks, cooles Erlebnis. Sie hat auf jeden Fall ihre Daseinsberechtigung.
Das Schönste war für mich aber einfach nur, Harry wiederzusehen, und alles andere war relativ egal (ich hatte mittlerweile auch schon kräftig einen im Tee...).
https://www.experimentalcocktailclub.com/london
Bar 7: Kwant
Die neue Bar von Eric Lorincz. Beachtliche Lage direkt in Mayfair. Humane Preise, sodass ich mir nicht erklären kann, wie sie in der Lage sind, die Miete zu finanzieren.
Alles sehr hochwertig – von der Einrichtung bis hin zu den Drinks. Das Barfood genießt einen sehr guten Ruf, hat meinen persönlichen Geschmack aber nicht getroffen. Es war zu intensiv, sodass das Essen den Drink überdeckt hat.
Die Einrichtung und die Bar wirkten eher wie ein Restaurant als eine klassische Bar.
Feinheiten möchte ich mir hier aber nicht mehr rausnehmen, da mittlerweile der Alkohol seine Wirkung zeigte.
Was mir sehr gut gefallen hat: Inhaber Eric war ebenfalls anwesend und auch er hat demütig im Service gearbeitet und die Gäste bewirtet.
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Fazit:
So pompös und luxuriös die Londoner Gastronomie auch sein kann: Die Bodenständigkeit hat mich sehr berührt. Zu sehen, wie die größten Namen unserer schönen Branche so nah am Gast arbeiten, war einfach wundervoll.
Es wurde (abgesehen von der Dukes Bar) keinerlei Arroganz an den Tag gelegt und ein Niveau abgeliefert, das seinesgleichen sucht.
London ist für mich mit großem Abstand die beste Barstadt Europas und alleine für die Bars schon eine Reise wert.
Was für ein schöner Tag! Gerne wieder.